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Trekking in den spanischen Zentral-Pyrenäen, ein tierisches Vergnügen
er vor einer Reise in die Pyrenäen Reiseführer studiert oder das Internet nach Informationen durchsucht, wird irgendwann von einem erfolgreichen Arterhaltungsprojekt der Braubären lesen, dem mit slowenischen Zwangsimmigranten etwas nachgeholfen wurde. 16 Bären, so las ich vor meiner ersten Reise im Jahre 2006 in die spanischen Zentralpyrenäen, sollten sich im gesamten Gebiet, das man diesem Gebirge zurechnet, leben. 16 Bären auf einer 560 km langen und 100km breiten Fläche zwischen Atlantik und Mittelmeer. Bei so viel Platz wundert es wenig, wenn sie fast niemand zu sehen bekommt. Und fragt man Einheimische, wo denn mal ein Bär gesichtet worden wäre, so sagt der Spanier, die Bären leben in Frankreich, die Franzosen weisen nach Spanien und trifft man Franzosen und Spanier gemeinsam, muss Andorra für den Aufenthaltsort der Braunbär-Population herhalten.
In Andorra begann im Mai 2006 die erste Trekking-Tour durch die katalanischen Pyrenäen. Etwa 180 km wanderten wir westwärts durch blühende Wälder, kletterten über anstrengend steile Pässe und stiegen durch ein frühsommerlich noch verschneites Hochgebirge, viel rauer als erwartet. Wir waren überrascht aber nicht unvorbereitet über häufig fehlende Markierung der oftmals unter einer Altschneedecke noch verborgenen Pfade und Steige. Wir waren begeistert von der ursprünglichen und einsamen Berglandschaft mit all den hochgelegenen Seen. Wir waren angetan von den antik wirkenden Dörfern wie Boi oder Taüll und wir waren verzaubert vom Aigüestortes Nationalpark mit seinen grünen Wassern und wie von Modellbauern passend inszeniert eingesetzten Bergspitzen. Spuren von Bären, geschweige denn ein lebendiges Exemplar hatten wir damals nicht gesehen.
Im Herbst dieses Jahres wurde die Trekking-Tour in Es Bórdes bei Vielha, im Val D’Aran dort fortgesetzt, wo sie 2006 endete. Ein sanft ansteigender Weg führte mich erstmal gemächlich in größere Höhen bis zu einer Schutzhütte. Die Fenster vergittert, sogar engmaschige Gitter waren vorgesetzt. Eines dieser Vorgitter war herausgerissen. Wer tut so etwas, ein Bär? Doch ich sah nur einen Hirsch auf einer Kuppe und hörte sein Röhren in der Nacht.
Im dichten Nebel stieg ich den Pass zum Port dera Picada hinauf. Dahinter zog es auf und ich blickte auf das Aneto-Maladeta-Massiv, mit dem höchsten Punkt der Pyrenäen. Beinahe stolperte ich über ein totes Schaf. War es den Berg heruntergefallen oder hatte es etwa ein Bär getötet? Jetzt war es jedenfalls ein Fressen für die Bartgeier. Jene größten Geier Europas, deren Bestandszahlen hier langsam wieder hoffnungsvollen Werten zusteuern. Fast so groß wie ein Kondor segelten sie in der Thermik der Vormittagssonne über mich hinweg und ich erschrak jedes Mal über das laute Sirren, das ihre Annäherung ankündigte.
Mein erster Versuch, den höchsten Berg der Pyrenäen, den Aneto zu besteigen, endete noch vor dem Gletscher in der Waschküche, die die aufgekommenen Wolken aus der Umgebung gemacht haben. Im Südwesten verschwanden die letzten Flecken des blauen Himmels, der mich am Morgen noch so voller Hoffnung und Energie den Aufstieg über große Felsblöcke begannen ließ. Nun zwangen mich dunkle Wolken bis hinunter nach Benasque. Der vierstündige Fußmarsch bis zu einem der Hauptorte der spanischen Pyrenäen durch das gleichnamige Tal war jedoch von überraschender Schönheit. Der wilde Rio Ésera wird immer wieder von Wasserfällen unterbrochen, ehe er weiter unten von einer Staumauer gezähmt wird. Die Straße zwischen Benasque und dem Refugio Renclusa indes nimmt man kaum wahr, obwohl der Weg selten weiter als 300 Meter entfernt davon verläuft.
Benasque unterscheidet sich nicht sehr von den anderen, typischen Pyernäen-Städtchen. Im Zentrum ein Labyrinth enger Gassen zwischen alten Gemäuern, hinter denen sich aber zum Teil frisch modernisierte Häuser verbergen. Neue Häuser werden ganz im Stile der alten mit Naturstein verklinkert. Man ist hier stolz auf seine Identität. Outdoor- und Ski-Geschäfte wechseln mit Hotels und Restaurants oder gemütlichen Cafés und Kneipen. Vielleicht lag es an der Nebensaison, aber ich hatte mir viel mehr Rummel vorgestellt und hätte nicht gedacht, mich hier so wohl zufühlen.
Eingedeckt mit Proviant verließ ich den Campingplatz als letzter Gast und wanderte das Estós-Tal hinauf. Hier traf ich sogar mal andere Wanderer, schließlich war ja Wochenende, strahlend blauer Himmel und noch Pilzsaison obendrein. Auf einer kleinen Ebene hielt ich einen Plausch mit zwei Zaragoza-Bewohnern, die wie alle anderen den Normalweg zu den hoch gelegenen Bergseen einschlugen. Ganz wie es meine Art ist, wollte ich einen Nebenweg gehen. Doch was war das für ein Tier auf der anderen Flussseite? Welches Tier macht Männchen, flüchtet nervös drei Meter, bleibt wieder stehen und ist dabei deutlich dunkler und größer als die Murmeltiere, die ich bisher gesehen habe? War das etwa, nein, das ist unmöglich! Schließlich stand ich nur einige hundert Meter entfernt von der bislang mit fünf Wanderern bevölkerungsreichsten Stelle. Ein Bär würde niemals so vielen Leuten so nahe kommen. Aber was war es sonst?
Inzwischen war ich zufällig auf der Route der vier Refugios um das Berg-Massiv des Posets. Doch ich hatte nicht vor, in einer dieser Hütten, wie man sie aus den Alpen kennt, zu schlafen. Vorbei an einigen kleineren Seen schleppte ich mich und meinen 20 Kilo-Rucksack einen weiteren sehr schweren Pass hinauf. Richtig klettern war hier angesagt über große Felsblöcke. Ich war auch wieder in absoluter Einsamkeit. Die übrigen Wanderer hatten allesamt am Ibón de Batiziellas kehrt gemacht. Hinter dem Pass zog sich der Himmel zu und kurz nachdem ich Quartier in einer schlichten, alten, steinernen Schutzhütte bezogen hatte, konnte man keine 10 Meter mehr weit sehen.
Der dichte Nebel verzog sich auch am Morgen nur zögerlich. Gämsen kreuzten meinen Weg, unentschlossen, ob sie vor mir besser flüchten sollten. Der steilste und höchste Pass, der Collado de Eriste, lag hinter mir. Er kratzte die 3.000 Meter-Grenze und entsprechend dicker war die Neuschneedecke, in der nun meine Fußspuren den Pfad kennzeichneten. Die andere Seite war bereits wolkenfrei und mir war als lägen mir die gesamten westlichen Pyrenäen zu Füßen. Auf dem steilen und anstrengenden Abstieg über Geröll und Felsblöcke warnten zur Wache eingeteilte Murmeltiere ihre Familienangehörigen mit schrillen Pfiffen vor mir. Von beiden Seiten ergossen sich große Wasserfälle. Groß war die Verlockung, die lange Mittagspause ins Etappenziel zu verwandeln.
Das Wetter hielt sich und statt wie geplant nach Bielsa weiter zu wandern, vollendete ich die Runde um den Posets. Die Verlockung, den Aneto noch mal zu versuchen, war zu groß. Nach der sternenklaren Nacht war mein Zelt gefroren. Es dauerte eine Weile, bis ich mich überwand, aus dem warmen Schlafsack zu kriechen. Es war Sonntag, schönstes Wanderwetter, ein leichter Weg über den Puerto de Gistain ins Valle de Estós. Wer die Alpen gewohnt ist, erwartet Karawanen von Bergwanderern. Doch hier begegnete ich erst an der Estós-Hütte einigen kleinen Wandergruppen.
Einige Franzosen und eine Gruppe junger Basken haben sich im gut ausgestatteten Refugio de la Renclusa eingefunden, um den Aneto zu besteigen. Ich habe mich mit Peter aus der Slowakei und Erez aus Israel zusammengetan. Das Wetter war weiterhin stabil. Zügig kletterten wir bei aufgehender Sonne über die Felsrippe, die Aneto und Maladeta trennt. Nun kamen endlich meine Steigeisen und mein Pickel zum Einsatz, die ich seit Tagen über die Pyrenäen schleppte. Die kleine Katze, die uns zu unserem Erstaunen bereits seit einiger Zeit folgte, kam auf dem Gletscher auch ohne Hilfsmittel zurecht. Das Eis war fest, Spalten gab es keine und steil wurde es erst zum Schluss. Dann standen wir auf dem höchsten Punkt der Pyrenäen, 3.404 Meter hoch und keine Wolke trübte die atemberaubende Aussicht über die scheinbar gesamte Bergkette.
Der Abstieg über die großen Felsblöcke war sehr Kraft raubend und forderte vollste Konzentration. Ich gönnte mir daher noch eine Nacht im Refugio de la Renclusa und fragte die junge Hüttenwirtin, wie es denn so sei, mit den Bären. Nein, die gäbe es hier nicht. Im Val D’Aran würden vier Bären leben und dort gab es wohl auch schon mal eine kritische Begegnung mit einem Wanderer.
Meine Abschlusswanderung führte mich das südlich des Aneto-Maladeta-Massivs gelegene Vallibierna-Tal hinauf. Noch einmal genoss ich das Freiheitsgefühl, das eine Zeltnacht im Hochgebirge auslöst. Wie riesige Fackeln leuchteten die Bergspitzen in der untergehenden Sonne und erwärmten die Seele dermaßen, so dass der Körper den eisigen Temperaturen keine Beachtung mehr schenkte.
Bevor ich Benasque Richtung Zaragoza und Bilbao verließ, stieß ich in einer kleinen Kneipe beim Durchblättern der Lokalzeitung auf ein Bild einer Bärin, die in eine Fotofalle getappt war. Es war kürzlich im Valle D’Aran, wo dem Artikel nach sogar sieben Bären leben sollen. Und in den Pyrenäen streifen mittlerweile sogar 21 Petze umher. Das steigert ja meine Chance, vielleicht beim nächsten Mal einen zu sehen, falls ich nicht doch schon dieses Glück hatte. |